Und es begab sich also zu der Zeit, oder: Eine ganz und gar unchristliche Weihnachtsgeschichte
Vorwort
Die Tage sind nur noch kurz und die Sonne steigt spät über den Horizont, hier, am westlichsten Rande des Landes, das wir manchmal Heimat nennen. Kühltürme und Schlote spucken wolkige Last in den ohnehin düster und trübe über der Heimat lastenden Himmel. Kalte, feuchte Böen stürzen sich von den Kanten der Abraumhalden auf die Menschen in den Städten und Dörfern auf dem platten Land. Die Tage sind kurz, und auch der Abend bricht früh herein. Unsere Gedanken werden seltsam milde in dieser Zeit des Jahres. Des abends, wenn die Kerzen auf den Tischen flackern, pusten wir den Staub von alten Folianten, schlagen sie voller Ehrfurcht auf, lesen einander daraus vor und erinnern uns an das, was war…Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von der Kaiserin Angela ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Arminius Landpfleger in Colonia Claudia Ara Agrippinensium und umzu war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt.
Da machte sich auf auch Auctorius aus Rostochium…
Da machte sich auf auch Auctorius aus Rostochium…
Nein, in meiner Stadt ist nichts, was des Schätzens lohnt. Ein paar Nachwuchs-Rocker wollten mal einen Saunaclub vor den Toren der Stadt etablieren, stellten sich dabei aber dermaßen bratzdämlich an…
Nein, in meiner Stadt ist nichts, was des Schätzens lohnt.
Doch ich weiß einen Flecken im Dunstkreis der Türme des mächtigen, gewaltigen Domes zu Colonia, und in dem Flecken einen Ort, der des Schätzens wirklich wert ist.
Ankommen
„Sie sind zum ersten Mal hier? “Ich fall vom Glauben ab. Diesen Spruch hab ich schon ewig nicht mehr gehört. Ich muss mir auf die Lippen beißen, um nicht laut loszulachen. Endlich mal nichts von diesem Stammgastgeschwätz…
Im Laden herrliche, himmlische, unchristliche Unruhe. Huren kommen, Huren machen sich dienstfein, Freier kommen, machen sich pufffein. Sollte ich auch tun. Ich hab in den Jahren mein Ritual entwickelt, davon geh ich nicht ab, auch nicht fernab meines früheren Stammladens…
Irritieren
Zahnhygiene ist so ein Teil des Rituals. Den Spiegel im kleinen Waschraum im Erdgeschoss teile ich mir mit einer schlanken, dunkelhäutigen Schönheit.„Hast Du kein zuhause? “
Madam schaut mich an. Mit der Frage kann ich nichts anfangen.
„Wieso? “
„Du putzt Dir hier die Zähne.“
So hab ich das noch gar nicht gesehen…
Umschauen
Erst mal eine Runde durchs Haus. Vor vier Wochen, bei meinem vorherigen Besuch, wurde draußen im Anbau noch die vierundelfzigste Folge von Hömma, wer da hämmert veranstaltet. Jetzt aber: alles fertig, alles schick. Durch die Türe links in der Bar gelangt man zu Sauna, Whirlpool und Duschen. Um den Whirlpool gruppieren sich ein paar Liegen, große bodentiefe Panoramafenster geben den Blick in den Garten frei.In einem bekannten FKK-Club an der A100 ist die Panoramasauna zu dieser Jahreszeit aus Sicherheitsgründen geschlossen. Hier aber denkt man kundenorientiert, das Babylon steht im Wettbewerb mit einer Handvoll ähnlicher Läden im Umkreis einer Stunde Autofahrt und kann sich derlei Allüren überhaupt nicht leisten.
Mir gefällt der Anbau auf Anhieb. Kurz entschlossen weihe ich die Finnische - 87 Grad, so isses recht - für mich ein. Der Weg zu den Duschen ist kurz, und im Sommer könnte man dann sofort nach draußen in den Pool…
Im Sommer. Jetzt ist Winter, und ich belasse es bei der Dusche.
Irritieren 2
Hinterher creme ich mir die Pfötchen ein. Ich liebe diese Creme… dummerweise braucht es ein bisschen, bis sie einzieht. Unauffällig-auffällig die Hände einbalsamierend, nähere ich mich der Bar.„Ein Sprudel bitte! “
Die Hure, neben der ich am Tresen stehe, mustert mich kritisch. Insbesondere meine Hände haben es ihr angetan. Was kann ich dafür, dass die Creme immer noch nicht…
„Was machst Du da? “
„Ich bin ein Junkie.“
Die Hure neben mir macht aus schönen, braunen Augen groß aufgerissene Kulleraugen.
„Junkie? “
„Ja. Ein Hautcremejunkie.“
Schätzen
Ich beziehe B-Posten Lieblingsplatz und schätze. Deswegen bin ich ja hier. Ich schätze, ob die AWL mit der Realität übereinstimmt. Tut sie. Und sie tut es nicht.Die sonst gefühlt allgegenwärtige Michelle ist nicht am Start. Laut AWL müsste sie im Haus sein. Jenny wiederum dürfte gemäß AWL nicht vor Ort sein, ist es aber. Soweit zum Thema AWL.
Auf dem Plan hab ich Paris, die gemäß AWL im Haus sein soll. Erspähen kann ich sie vorerst nicht. Auf dem Plan hab ich auch Bella, die gemäß AWL im Haus sein soll und wohl auch ist. Die Grazie mit dem pechschwarzen, wie angeklebt wirkenden Pagenkopf erinnert mich jedenfalls ganz heftig an die Bella, mit der ich schon mal das Vergnügen hatte.
Paris noch abgetaucht, und Bella kaum aufgetaucht, schon gebucht. Und was mach ich?
Ich lass mich finden. Völlig klar, dass die rehäugige Hure vom Tresen den Anfasser nutzt, den ich Hautcremejunkie ihr vorhin geliefert hab…
Akquiriert werden
Das Rehauge steuert straight auf mich zu.„Was machst Du? “
„Ich sitze hier.“
„Aber warum allein? “
„Wieso allein? Du bist doch bei mir! “
Dieser bestechenden Logik kann sich das Rehauge nicht entziehen. Selbiges erweist sich im Smalltalk als keinesfalls auf den Kopf gefallen, wir parlieren abwechselnd auf Deutsch, Englisch und Russisch miteinander. Ich staune, welche Vokabeln mir da so ad hoc noch einfallen. Ein bisschen erinnert mich das Rehauge an eine Bulgarin, die mir mal in einem Laden am grünen Inn begegnet ist: sie überzieht derart mit ihren Komplimenten…
Die Küsse werden intensiver, unsere Brustwarzen haben Kontakt.
„Zimmäää? “
„Ich geh dann mal duschen.“
[Fortsetzung folgt]